24.01.2019

Was es bedeutet, ein spirituelles Leben zu führen

Viele Leute haben interessante Vorstellungen davon, was es bedeutet, „spirituell“ zu sein. Wenn sie hören, dass ich als Yogalehrerin meinen Lebensunterhalt verdiene, sehen sie mich vor ihrem inneren Auge jeden Tag um vier Uhr morgens aufstehen, um mehrere Stunden auf dem Meditationskissen zu sitzen, und in Enthaltsamkeit und Nüchternheit leben - inklusive Heiligenschein.

Auch wenn ich einige der Klischees erfüllen mag - ich ernähre mich vegan, lebe in meinen Leggings und bleibe auch mal mitten auf der Straße stehen, um eine paar tiefe Atemzüge zu nehmen  - bin ich eine ganz normale Person, wie alle anderen. Ich werde viel nach meiner spirituellen Praxis gefragt und danach wie sich meiner Meinung nach, ein spirituelles Leben mit materiellen und sinnlichen Genüssen vereinbaren lässt.

Meine Meinung darüber, wie man ein spirituelles Leben führt, ist jedoch möglicherweise etwas anders, als man es erwarten würde. Es geht mir nicht um typische Praktiken wie Mediation und Yoga oder den Verzicht auf jegliche Art von Vergnügen und Askese.

Für mich bedeutet ein spirituelles Leben…

Self-Care. Höre auf deine Bedürfnisse.

Lausche deiner wahren innere Stimme und höre auf sie, auch wenn deine gewohnte Stimme der Vernunft / Ego / Status etwas anderes sagt. Auch wenn du denkst, dass etwas anderes von dir erwartet wird und auch wenn es tatsächlich so ist. Nur du weißt, was für dich gut ist und was du brauchst. Das gilt für große Lebensentscheidungen ebenso wie für kleine, wie zum Beispiel, was du heute essen wirst oder ob du losgehst und dir die ganze Nacht die Seele aus dem Leib tanzt oder doch zu Hause bleibst und dir Zeit für dich nimmst. Die unerwartete Wahl könnte die richtige sein: Es gibt kein Falsch oder Richtig, nur Match oder Mismatch mit deiner aktuellen Situation. Entscheide selbst und entscheide nur für dich. Das bedeutet natürlich nicht, dass anderen gegenüber rücksichtslos bist. Es bedeutet lediglich, mit Aufmerksamkeit für dein eigenes Wohlbefinden zu leben und dir deines wahren inneren Zustands bewusst zu sein. Manche nennen es Selbstliebe.


Pflege eigene Rituale. Vergiss die vermeintliche spirituelle To-Do-Liste. 

Ein Mittel um sicherzustellen, dass wir das tun, was gut für uns ist, sind Rituale. Ich meine damit nicht die Routinen, die du nur stur abreißt, weil sie Teil deiner spirituellen Praxis sein sollen oder irgendeines anderen Plans, dem du vermeintlich folgen sollst. Wenn es dir gut tut, um 4 Uhr morgens aufzustehen und für 2 Stunden zu meditieren - mach das, es kann ganz wunderbar sein! Wenn du dir aber lieber nur 5 Minuten Zeit nimmst, bevor du morgens dein Handy einschaltest, um ein paar tiefe Atemzüge zu nehmen und zu spüren, wie du dich fühlst, dann ist es das! Vielleicht ist es die kleine Frage "Was würde ich tun, wenn ich mich wirklich liebte", die du dich fragst, bevor du eine Entscheidung triffst, die dafür sorgt, dass du auf deinem Weg eines glücklichen Lebens bleibst. Deine Achtsamkeitspraxis kann das bewusste Zubereiten deines Morgentees sein, ein langsamer Spaziergang oder ein schneller Lauf, ein inspirierendes Buch, genauso wie ein Sonnengruß. Wähle etwas, das dich wirklich berührt und dich in den gegenwärtigen Moment holt anstatt auferlegter Rituale, die dich belasten und nur eine weitere Aufgabe sind, die zu erfüllen ist.


Übe dich in Freundlichkeit und Güte. Befreie dich selbst (und alle anderen). 

Ärgere dich nicht über dich selbst, wenn du das Gefühl hast, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben oder einen Fehler gemacht zu haben. Das ist vollkommen in Ordnung! Du bist menschlich, du erforschst das Leben. Alle Wendungen und Umwege sind notwendig, um eine ganzheitliche Sicht auf deine Welt und deine Bedürfnisse zu erlangen. Wenn etwas schief geht, hilft es dir zu verstehen, was stattdessen „richtig“ gewesen wäre. Es macht deutlich, wie es sich anfühlt, in Übereinstimmung mit deinen Werten und Absichten zu leben. Wenn du Reue empfindest - sag Danke! Dies ist der natürliche Feedback-Mechanismus deines Herzens der dir sagt, ob etwas für richtig für dich ist oder nicht. Ist das nicht erstaunlich? Was für ein schönes Geschenk! 

Und - lass auch andere vom Haken. Das obige gilt für uns alle. Sei nicht nachtragend, verurteile andere nicht. Lasse auch sie ihre eigenen Entscheidungen treffen, lass sie selbst erforschen, ohne dass sie deine Erwartungen erfüllen müssen. Wenn wir uns alle weniger hart gegenübertreten und auf unser eigenes Herz hören, wird sich niemand gegenseitig verletzen oder enttäuschen. Kultiviere eine Haltung des Verständnisses, begegne deinen Mitmenschen und allen anderen Wesen mit Respekt, Freundlichkeit und Liebe. 


Lebe in Dankbarkeit. Schätze, was das Leben dir bringt. 

Alles läuft reibungslos, du liebst deine Arbeit, du hast gute Freunde - sag Danke! Die Dinge laufen nicht so gut, du fühlst dich sich festgefahren oder einsam - sag trotzdem Danke! Dies könnte die perfekte Gelegenheit sein, deine Lebensentscheidungen neu zu bewerten, dich selbst besser kennenzulernen, deine Ziele, Absichten und Werte zu definieren. Du hast Essen und ein Dach über dem Kopf, richtig? Die Sonne scheint und wärmt dein Gesicht? Oder es fällt starker Regen, der die Blumen und Bäume nährt? Ist das nicht ebenso schön? Ich könnte ewig weiterschreiben - das Leben ist so großzügig! Beginne die kleinen Dinge wahrzunehmen, die kleinen Gesten und Geschenke. Dankbarkeit ist die höchste Schwingung und größte Glückseligkeit! Nimm dir mehr Zeit in deinem Tag, um dich dankbar zu fühlen. Bleibe so oft und so lange wie möglich in diesem Modus, lebe dein Leben in Dankbarkeit für alles, was dir begegnet, all die guten Dinge, all der Kontrast. Das alles ist Teil des Lebens. Wir können uns so glücklich schätzen, nicht wahr?

Ich könnte weiterschreiben, aber ich denke, du verstehst meine Idee. In Wertschätzung und Vertrauen zu leben, mit Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse, mit liebevoller Freundlichkeit für alle Wesen. Das bedeutet es, spirituell zu sein - zumindest für mich. Sind das nicht die wesentlichen Dinge? Das Tragen einer Mala-Gebetskette und das Tattoo eines Buddhas auf der Haut sind auch schöne und unterhaltsame Dinge! Aber genauso wie eine korrekte, aber herzlos ausgeführte spirituelle Praxis im traditionellen Sinne, werden sie keinen wirklichen Unterschied in deinem Leben bewirken.

Ich möchte hier erwähnen, dass ich die traditionelle spirituelle Praxis, im Yoga genannt Sadhana, die meist Mediation, Yoga, Chanten und selbstlosen Dienst an anderen beinhaltet, respektiere, schätze und liebe. Vor allem in den Phasen meines Lebens, in denen ich mich festgefahren fühle oder nach Erdung suche, übe ich alle Schritte intensiv und es ist unglaublich lohnend. Aber das muss jeder für sich selbst wählen. Sadhana ist nicht der einzige Weg, um Bewusstsein und Spiritualität in dein Leben einzuladen, und sollte keinesfalls die Voraussetzung dafür sein, sich spirituell nennen zu können. Spiritualität ist keine lästige Pflicht, keine To-Do-Liste. Sie soll dich nicht einschränken, sondern deine Erfahrungen und dein ganzes Leben bereichern!

Ich hoffe, dass meine Ideen zu diesem Thema dich inspirieren und anregen mit etwas mehr Achtsamkeit und Wertschätzung in deinen Tag zu gehen. Ich freue mich immer auch über deine Meinung.

Liebe von mir zu dir.